Huschke Diekmann
21. September 2025
Vier Lehren für die Entwicklung resilienter Schienennetze
Weltweit stehen Schienennetze unter zunehmendem Druck – verursacht durch extreme Wetterereignisse, wachsende Cyberrisiken und alternde Infrastruktur. Vor diesem Hintergrund rückt die Frage in den Fokus, wie die Resilienz des Schienenverkehrs gestärkt und die Zuverlässigkeit trotz potenzieller Störungen langfristig sichergestellt werden kann.
In Ländern wie Deutschland und dem Vereinigten Königreich führen jahrzehntelange Unterinvestitionen dazu, dass rund ein Drittel der Fernverkehrszüge verspätet ist[1][2], die Instandhaltungskosten steigen und das Vertrauen der Fahrgäste abnimmt. Allein in Europa verursachen Überschwemmungen jährlich Schäden von rund 580 Mio. EUR an Schienennetzen Bei einer Erwärmung um 3 °C könnten diese Schäden ohne Anpassungsmaßnahmen um 310 % steigen[3].
Zudem haben Cyberangriffe und terroristische Bedrohungen auf die Verkehrsinfrastruktur in den letzten Jahren zugenommen[4][5]. Da Eisenbahnen für wirtschaftliche Kontinuität und nachhaltige Mobilität entscheidend sind, hat die Sicherstellung ihrer Widerstandsfähigkeit höchste Priorität für Regierungen und Bahnbetreiber.
Huschke Diekmann, Global Director for Rail bei Ramboll, nennt vier zentrale Lehren, die Netzeigentümer und -betreiber über die Widerstandsfähigkeit des Schienenverkehrs und die möglichen Maßnahmen kennen sollten:
1. Was bedeutet Resilienz im Schienenverkehr und warum ist sie strategisch relevant?
Huschke Diekmann: "Resilienz im Schienenverkehr beschreibt die Fähigkeit von Bahnsystemen, störenden Ereignissen standzuhalten, sich an sie anzupassen und sich von ihnen zu erholen, unabhängig davon, ob sie klimabedingt, technologisch oder betrieblich sind. Dazu zählen die Langlebigkeit der Infrastruktur, ein verlässlicher Betrieb und die Sicherstellung der langfristigen Leistungsfähigkeit der Anlagen.
Resilienz wird zunehmend nicht nur als technische Überlegung, sondern als strategische Notwendigkeit gesehen. Die Nachfrage auf dem Markt ist groß, da die Besorgnis über die Auswirkungen von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Waldbränden und Erdbeben auf das Netz wächst. Gleichzeitig ist Resilienz eng mit Nachhaltigkeitszielen verbunden, etwa durch den Einsatz langlebiger, kohlenstoffarmer Materialien und der systematischen Instandhaltung von Anlagen über einen Zeitraum von 30 bis 50 Jahren, um deren Lebensdauer und Leistung zu maximieren.
Die Technologie spielt hierbei eine Schlüsselrolle: Sensoren überwachen Brücken und Tunnel, erkennen strukturelle Ermüdungen frühzeitig und ermöglichen gezielte, kosteneffiziente Wartung. Andere Systeme sorgen für den sicheren Betrieb, indem sie Züge bei Überschwemmungen oder seismischen Ereignissen automatisch stoppen.
Über die Technologie hinaus erfordert Resilienz ein Umdenken: Lebensdauerplanung, Instandhaltungssysteme und Lieferketten müssen von Anfang an aufeinander abgestimmt sein."
2. Welches sind die wichtigsten Risiken und Schwachstellen, denen die Schienennetze derzeit ausgesetzt sind? Und wie sollten die Eigentümer der Anlagen diese priorisieren?
Huschke Diekmann: "Die Schienennetze sind heute mit einer immer größer werdenden Risikolandschaft konfrontiert. Klimabedingte Gefahren wie hitzebedingte Gleisverwerfungen, Erdrutsche und Überschwemmungen werden immer häufiger und gravierender. Die Eigentümer von Anlagen sollten versuchen, die Risiken auf der Grundlage einer Kombination aus Wahrscheinlichkeit, Auswirkungen und Systemkritikalität zu priorisieren. Die Planung der Klimaanpassung sollte detaillierte Klimarisikobewertungen, Verbesserungen der Entwässerung und Konstruktionsspezifikationen für extreme Temperaturen umfassen.
Die Cyberrisiken sind eine weitere wachsende Bedrohung. Mit der Digitalisierung von Asset-Management-Plattformen und Signalsystemen sind die Eisenbahnen zunehmend Cyberangriffen ausgesetzt. Nach Angaben der ENISA war der Verkehrssektor im Jahr 2024 der am zweithäufigsten angegriffene Sektor[6]. In diesem Zusammenhang sind regelmäßige Bedrohungsmodellierung, robuste Firewalls und Backup-Systeme von entscheidender Bedeutung.
Resilienz muss auch operativ sein. Dazu gehören ein methodischer Ansatz für die Anlagenverwaltung und der Einsatz intelligenter Diagnoseverfahren, um sicherzustellen, dass Signalsysteme, Weichen und Stromversorgungen kontinuierlich überwacht werden."
"Die wichtigste strategische Maßnahme für Bahnbetreiber ist der Übergang von reaktiver zu vorausschauender Planung. Dazu zählen Investitionen in langlebige Infrastruktur, die Festlegung klarer Leistungsstandards und die frühzeitige Berücksichtigung von Abhängigkeiten innerhalb des Gesamtsystems."
3. Können Sie Beispiele nennen, wie Eisenbahninfrastrukturen erfolgreich auf Störungen reagiert haben? Welche Lehren lassen sich daraus für die zukünftige Resilienzplanung ziehen?
Huschke Diekmann: "Ein Beispiel dafür ist die landesweite Einführung des Europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems (ERTMS) in Dänemark. Dabei wurden veraltete analoge Signalsysteme, von denen mehr als die Hälfte über 50 Jahre alt war, durch digitale Technik ersetzt. Ziel ist es, signalbedingte Verspätungen um 80 % zu reduzieren und einen reibungslosen grenzüberschreitenden Verkehr zu ermöglichen - ein Schritt, der das dänische Netz zukunftsfähig macht. Besonders bemerkenswert: Das Signalisierungsprogramm wurde ohne Unterbrechung des laufenden Betriebs umgesetzt und dient somit als Modell für flexible und anpassungsfähige Projektumsetzung.
Ein weiteres Beispiel ist die Anwendung des Allianzmodells bei Infrastrukturprojekten. Hier arbeiten Eigentümer, Auftragnehmer und Berater im Rahmen einer einzigen Vereinbarung zusammen. Von Beginn an werden gemeinsame Ziele wie Kosteneffizienz, Einhaltung von Lieferfristen und Leistungsanforderungen definiert.
Der daraus resultierende kooperative Ansatz fördert die Transparenz und verringert gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit von kostspieligen Streitigkeiten und Verzögerungen. Er stellt auch sicher, dass alle Parteien ein gemeinsames Interesse an der Risikominderung haben und sich auf die Erzielung der bestmöglichen Ergebnisse konzentrieren. Projekte wie die Kronenbrücken und die Stadtbahnlinie 15 in Finnland veranschaulichen die Vorteile der Anwendung des Allianzmodells, einschließlich der Tatsache, dass letztere 10 Monate früher und fast 10 % unter dem Budget eröffnet wurde.
Eine künftige Entwicklung in der Branche, die dazu beitragen könnte, die Resilienz von Bahnprojekten zu verbessern, ist die zunehmende Forderung nach einer gemeinsamen Verantwortung von Planern und Konstrukteuren für die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur nach der Projektübergabe und während der gesamten Lebensdauer einer Anlage. Der Markt ist im Umbruch, und diejenigen, die proaktiv auf die Bereitstellung sicherer, effizienter und zukunftsfähiger Bahnsysteme reagieren, werden sich in einer starken Wettbewerbsposition befinden."
4. Welche ersten praktischen Schritte würden Sie Eigentümern von Bahnanlagen empfehlen, die die Widerstandsfähigkeit ihres Netzes heute verbessern wollen?
Huschke Diekmann: "Für Eigentümer von Bahnanlagen, die ihre Widerstandsfähigkeit verbessern wollen, sind drei praktische Schritte besonders wichtig:
- Beginnen Sie mit einer Risikobewertung: Bewerten Sie die Schwachstellen der physischen Infrastruktur, der digitalen Systeme und der Lieferketten. Ermitteln Sie, wo kritische Ausfälle am wahrscheinlichsten sind, und bewerten Sie die Lebenszyklusleistung von wichtigen Anlagen wie Brücken, Tunneln und Weichen.
- Resilienz in der Beschaffung verankern: Als Bahnberater müssen wir Netzeigentümern und -betreibern dabei helfen, Resilienz in Ausschreibungen zu definieren und zu bewerten. So wie die Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Kriterium bei der Beschaffung geworden ist, sollte dies auch für die Widerstandsfähigkeit gelten - ob es sich nun um die Haltbarkeit von Materialien, die Fähigkeit zur Überwachung von Anlagen oder die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel handelt.
- Digitale Werkzeuge einsetzen: Prädiktive Wartungsplattformen, digitale Zwillinge und Anlagenüberwachung in Echtzeit können Ausfallzeiten erheblich reduzieren. KI-gestützte Diagnosen können beispielsweise dazu beitragen, Anomalien im Gleiszustand frühzeitig zu erkennen, bevor sie zu Betriebsausfällen führen[7]."
[1] Network Rail, Eisenbahnleistung, 2025
[2] Deutsche Bahn, Integrierter Bericht, 2024
[3] Europäische Kommission, JRC Publications Repository, Global warming to increase flood risk on European railways, 2019
[4] Deutschland: Zweiter Brandanschlag auf Bahnstrecke innerhalb von zwei Tagen, 2025
[5] Secureworld, Cyber-Angriffe auf Eisenbahnsysteme steigen um 220 %, 2024.
[6] ENISA (Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit), Cybersecurity Maturity & Criticality Assessment of NIS2 sectors, 2024.
[7] Europe's Rail, "Research and Innovation Keeps AI on the Right Track", 2023.
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Huschke Diekmann
Global Sector Rail Director & Global Rail Spearhead Director