Brogan MacDonald, Shira de Bourbon Parme
26. Mai 2025
Wie wollen wir leben? Wohnen als Motor für transformativen Wandel
Länder wie das Vereinigte Königreich, Kanada und die USA planen in den kommenden Jahren den Bau von Millionen neuer Wohnungen, um der akuten Wohnungsnot zu begegnen. Damit bietet sich dem Immobiliensektor die Chance, neu zu denken, wie wir künftig leben und wie unsere Wohnungen gestaltet sein sollten. Ramboll hat gemeinsam mit der Human Nature Foundation sowie weiteren führenden Architektur- und Beratungsbüros einen neuen Bericht erarbeitet, der sich diesen Fragen widmet.
Die gravierenden sozialen und wirtschaftlichen Defizite, die viele Länder in eine Wohnungskrise gestürzt haben, beruhen auf systemischen Ursachen und erfordern eine integrierte Antwort, wenn wir echten Wandel erreichen wollen. Das Potenzial, den Wohnungsbestand deutlich zu erhöhen, darf dabei nicht übersehen werden – nicht nur, um diese Krise zu bewältigen, sondern auch, um einen Beitrag zur Lösung der Umweltprobleme zu leisten, die mit Bauwesen, Wachstum und unserem kollektiven Alltag verbunden sind.
Wie könnte eine landesweite Initiative zur wohnungswirtschaftlichen Entwicklung dazu beitragen, unsere Ziele in den Bereichen Nachhaltigkeit, Resilienz, Bezahlbarkeit und Wohlbefinden zu erreichen?
Ein aktueller Bericht von Historic England zeigt: In England könnten zwischen 560.000 und 760.000 neue Wohnungen durch die Instandsetzung und Umnutzung bestehender historischer Gebäude entstehen.
Doch wenn Neubauten unvermeidbar sind – wie sollten wir dann bauen, und wie wollen wir leben?
Im Folgenden skizzieren wir zehn Leistungsziele für neue Wohnmodelle:
1. Wachsende Partnerschaften
Die Entwicklung von Wohnraum in großem Maßstab ist eine Gelegenheit, Partnerschaften zwischen dem privaten, öffentlichen und dritten Sektor aufzubauen. Durch die Zusammenarbeit können Investitionen und Fachwissen genutzt werden, um Innovationen bei Bautechnologien, Materialien und Finanzierungsmodellen voranzutreiben, damit Wohnprojekte effizienter, kostengünstiger und nachhaltiger werden. Sie können die Entwicklung der Infrastruktur unterstützen und sich an den gesetzlichen Rahmen anpassen.
Nichtregierungsorganisationen (NRO) und gemeinschaftsnahe Organisationen können eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, sich für die Bedürfnisse benachteiligter Bevölkerungsgruppen einzusetzen, soziale Dienste bereitzustellen und sicherzustellen, dass der Wohnungsbau integrativ und gerecht ist. Diese Organisationen können auch bei der Mobilisierung der Unterstützung und Beteiligung der Gemeinschaft helfen.
2. Aufbau von Klimaresilienz
Angesichts der zunehmenden klimabedingten Risiken und der damit verbundenen Gefahren ist es von entscheidender Bedeutung, Wohnungen so zu konzipieren, dass sie noch nie dagewesenen Schwellenwerten standhalten und sich anpassen können. Die Integration der Klimaresilienz in die Gestaltung von Wohnraum ist entscheidend für die Gewährleistung langfristiger Nachhaltigkeit und Sicherheit, damit die Häuser Notfälle überstehen, Wiederherstellungspläne erleichtern, sich an den Klimawandel anpassen und flexibel auf Gefahren reagieren können.
Ein Bericht der Global Commission on Adaptation zeigt, dass die Verbesserung der Klimaresilienz von Infrastrukturen mit zusätzlichen Kosten von etwa drei Prozent verbunden ist, aber ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von etwa 4:1 aufweist. (Quelle: GlobalCommission_Report_FINAL.pdf)
3. Kohlenstoffspeicherung
Wir verfügen über ein erhebliches ungenutztes Potenzial, um teure Systeme zur Abscheidung und Nutzung von Kohlenstoff (Carbon Capture and Utilisation Systems, CCUS) zu ersetzen, indem wir biobasierte Materialien in neuen Häusern einsetzen, um Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu speichern.
Es gibt eine erschwingliche Lösung, die ohne weiteres eingesetzt werden kann. Nach den Zahlen des in Kürze erscheinenden Berichts von Wood Knowledge Wales - unter der Annahme der Verwendung von 20 m³ Holz pro Haus für 1,5 Millionen Häuser - entspricht dies 6 Millionen m³ Holz, die jährlich etwa 6,4 Millionen Tonnen CO₂ speichern. Damit wäre die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) 25 Jahre früher als derzeit prognostiziert möglich, ohne dass dafür Vorabinvestitionen in Milliardenhöhe erforderlich wären.
4. Überarbeitung der Lieferketten
Allein im Vereinigten Königreich ist die forstwirtschaftliche Kapazität vorhanden, um neue Häuser aus Holz zu bauen, wenn Biokraftstoff in den Baubereich verlagert wird. In England besteht eine große Lücke, da nur 9 % der neu gebauten Häuser mit Holz gebaut werden, während es in Schottland nach Angaben der Structural Timber Association 92 % sind.
Das Bauen mit Holz könnte die nachhaltige oder regenerative Land- und Forstwirtschaft fördern, die lokale Industrie entwickeln und neue grüne Arbeitsplätze schaffen, während gleichzeitig die modulare Bauweise vorangetrieben wird. Diese ermöglicht anpassungsfähigere Räume und zukünftige Erweiterungen von Häusern, um den sich ändernden Bedürfnissen der Haushalte gerecht zu werden.
5. Kultivierung von Ökosystemen
Neue Häuser können so konzipiert werden, dass sie sich in die lokalen Ökosysteme einfügen - dazu gehören begrünte Dächer, vertikale Gärten, Korridore für Wildtiere, Agroforstwirtschaft und Permakulturprinzipien für den Anbau von Lebensmitteln. Sie sollten die Regenwasserbewirtschaftung, die Luftreinigung, die Kompostierung von Lebensmitteln in der Gemeinschaft und einen artenreichen öffentlichen Raum mit blühenden Bestäubergärten und Gemeinschaftsflächen einbeziehen und private Gärten mit größeren grünen Infrastruktursystemen verbinden.
Die Frage der Dichte erfordert ein überlegtes Konzept für den Boden und seine vielfältigen, oft unvereinbaren Funktionen als lebenswichtige Ressource für gesunde Ökosysteme, Lebensmittel und Siedlungen.
6. Erzeugung von Energie und Wasser
Die Planung von Häusern mit erneuerbaren Energiesystemen kann die Autarkie des Wohnraums erhöhen und die Betriebskosten für die Bewohner und ihre Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Energiequellen verringern.
Integrierte Wassersysteme, einschließlich Regenwassersammlung und -aufbereitung sowie Grauwasserrecycling, können Süßwasser sparen und die Belastung der kommunalen Wasserversorgung verringern. Diese Systeme können auch die Widerstandsfähigkeit gegen Dürren und Überschwemmungen erhöhen.
7. Abfall neu denken
Um die Abfallmenge zu verringern, kann der gesamte Lebenszyklus von Wohngebäuden nach den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft mit klaren Wegen zur Abfallverringerung oder -beseitigung gestaltet werden. Dazu gehören der Bau mit wiederverwendeten, recycelten und wiederverwertbaren Materialien, die Schaffung von Systemen zur Wiederverwendung von Haushaltsabfällen als Energie und Kompost, die Förderung von Recycling und gemeinsamer Nutzung durch die Bewohner im Alltag und die Planung für eine einfache Demontage und Wiederverwendung von Bauteilen am Ende der Lebensdauer.
8. Platzierung der sozialen Infrastruktur
Der Wohnungsbau ist ein wesentlicher Bestandteil der formellen und informellen sozialen Infrastruktur. Heutzutage bieten wir nicht nur eine Unterkunft und bauen soziale Netze auf, sondern arbeiten auch und haben Zugang zu Dienstleistungen über unsere Wohnung.
Digitale Integration und Gleichberechtigung, Gesundheit und Wohlbefinden, wirtschaftliche Stabilität, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit beginnen oft in unseren Wohnungen. Erschwinglichkeit ist ein ständiges Anliegen - wir müssen dafür sorgen, dass unsere Wohnungen weniger Energie und Wasser verbrauchen und weniger Instandhaltungskosten verursachen, damit sie in Zukunft geringere Belastung für die Haushalte darstellen.
9. Erfahrungen gestalten
Unsere Wahrnehmung von Materialien, Räumen und Orten ist zutiefst subjektiv – und zugleich entscheidend für unser Wohlbefinden. Wohnräume zu entwickeln, die Vielfalt respektieren, unsere Sinne ansprechen und Freude wie Neugier wecken, ist essenziell, um Umgebungen zu schaffen, die heutige wie künftige Generationen inspirieren.
10. Anbindung an Netzwerke
Um eine besser vernetzte, aktive, integrative und umweltfreundliche Mobilität zu schaffen, müssen wir bestehende Gemeinschaften verbessern und gleichzeitig neue entwickeln. Die Einbindung nachhaltiger Mobilität von Anfang an, der Ausbau des lokalen Dienstleistungs- und Freizeitangebots und florierende lokale Zentren werden die Zahl der Autofahrten verringern und die lokale Identität, Arbeitsplätze, Bildung und das Wohlbefinden fördern. Die Unterstützung bestehender Gemeinschaften und Initiativen wird die Lebendigkeit erhöhen und neue nachhaltige Verhaltensweisen entwickeln.
Die Ausweitung des Wohnungsbaus in großem Maßstab bietet eine einmalige Gelegenheit, die Art und Weise, wie wir leben und wie unsere Baumethoden, Infrastrukturen und Wohnungen gestaltet sind, neu zu definieren. Unsere Herausforderung besteht nun darin, den Wohnungsbau als Motor für eine nachhaltige, widerstandsfähige und gerechte Gesellschaft zu gestalten, in der jedes Haus und seine Bewohner Teil eines Kollektivs sind, das transformative Veränderungen vorantreibt.
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Brogan MacDonald
Head of Sustainability–Structures
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Shira de Bourbon Parme
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