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25. September 2025
Netzstillstand: Was den Aufbau eines widerstandsfähigen Stromnetzes von morgen bremst
Ohne einen massiven Ausbau der Stromnetze kann die nachhaltige Transformation des Energiesektors nicht gelingen. Dr. Mohamed Rashwan, Geschäftsführer von TransGrid Solutions (TGS) – einem Unternehmen, das kürzlich von Ramboll übernommen wurde – analysiert die zentralen Hemmnisse: von Lieferengpässen bis zu komplexen Genehmigungsverfahren. Gleichzeitig zeigt er auf, wie sich diese Hürden überwinden lassen.
Die weltweite Stromnachfrage steigt stetig, während die vorhandene Netzinfrastruktur zunehmend an ihre Leistungsgrenzen gelangt. Der wachsende Anteil erneuerbarer Energien sowie neue Technologien im Netzbetrieb erhöhen den Druck zusätzlich.
Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) wird der weltweite Stromverbrauch bis 2027 jährlich um fast vier Prozent steigen. Gleichzeitig muss sich die Länge der Stromleitungen bis 2040 verdoppeln, um Klima- und Energieziele zu erreichen. Eine enorme Aufgabe – und eine Grundvoraussetzung dafür, Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen bereitzustellen und industrielles Wachstum zu sichern.
Warum ist der Netzausbau entscheidend, um den steigenden Energiebedarf zu decken?
Mohamed Rashwan: Die Energiewende im Stromnetz findet auf zwei Ebenen statt. Erstens bei der Erzeugung und Übertragung von Hochspannungsstrom über große Entfernungen und zweitens bei der Verteilung von Strom mit niedrigerer Spannung an die Verbraucher. Ich möchte mich auf die erste Ebene konzentrieren, die das Spezialgebiet von TGS ist.
Der Übergang von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Quellen wie Wind- und Sonnenenergie sowie Batteriespeichern erfordert erhebliche neue Übertragungskapazitäten. Gleichzeitig stellen der Rückgang großer fossil betriebener Synchronmaschinen und der zunehmende Einsatz leistungselektronischer Einspeiser das System vor neue Herausforderungen.
Um diese Herausforderungen zu meistern und den Netzausbau zu bewältigen, müssen wir uns neue technologische Durchbrüche zunutze machen und die Vorteile und Funktionen nutzen, die FACTS (Flexible Alternating Current Transmission Systems) und Leistungselektronik bieten können.
Auf absehbare Zeit wird die Grundstruktur des Netzes wahrscheinlich so bleiben wie sie heute ist. Allerdings werden Erdkabel in bestimmten Teilen der Welt, z. B. in der EU, eine größere Rolle spielen, nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Akzeptanz.
Was hindert den Energiesektor daran, Netze schneller und umfangreicher auszubauen?
Übertragungsnetzbetreiber, Versorgungsunternehmen, Zulieferer, EPC-Auftragnehmer und Berater stehen vor denselben Herausforderungen, wenn es darum geht, das Stromnetz schneller auszubauen. Dazu zählen die Konstruktions- und Fertigungskapazitäten im OEM-Sektor (Original Equipment Manufacturer), der Mangel an Fachkräften sowie die lange Dauer von Umweltverträglichkeitsprüfungen und Genehmigungsverfahren.
Früher dauerte es in der Regel vier bis fünf Jahre von der Vergabe bis zur Fertigstellung eines Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsprojekts (HGÜ). Damals konnten für solche Projekte noch mehrere Angebote eingeholt werden. Heute ist die Situation anders: Aufgrund der hohen Nachfrage bei gleichzeitig begrenzter Anbieterzahl erhält man bei Ausschreibungen oft nur ein oder zwei Angebote, und die Anbieter rechnen mit einer Fertigstellung erst sieben bis acht Jahre nach Vergabe. Zudem zeichnet sich ein Trend ab, von Anfang an direkt mit einem OEM zu verhandeln und ihn auszuwählen. Meiner Ansicht nach müssen sich die Kunden auf diese veränderte Vorgehensweise einstellen.
Das Problem liegt weniger in der Technologie als in der Lieferkette. Selbst für grundlegende Komponenten wie Leistungsschalter können Wartezeiten von zwei Jahren entstehen. Besonders herausfordernd ist der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten für Transformatoren und andere Netzkomponenten. Dabei besteht eine Gratwanderung zwischen dem aktuellen Bedarf und dem zukünftigen Bedarf: Wenn Hersteller heute zu viel Kapazität aufbauen und die Nachfrage später sinkt, entstehen Überkapazitäten.
Um diese Fertigungsprobleme zu bewältigen, müssen neue Anbieter auf den Markt kommen. Zwar gibt es solche Unternehmen unter anderem in Asien, doch bestehen Einschränkungen und Vorbehalte gegenüber Netzinfrastrukturprodukten aus Ländern außerhalb der EU und der USA. Diese Herausforderungen müssen dringend adressiert werden.
Woran scheitert der Ausbau der Energienetze noch – an der Politik, an Genehmigungsverfahren oder am Fachkräftemangel?
Genehmigungen und Politik hängen eng zusammen. Die Dauer von Genehmigungsverfahren hängt davon ab, ob politisch der Wille besteht, sie zu straffen und zu beschleunigen. In Kanada beispielsweise verfolgt die Regierung ein einheitliches Verfahren auf Bundes- und Provinzebene: Erhält eine Provinz die Genehmigung für einen Netzausbau, wird das Verfahren auf Bundesebene nicht wiederholt. Dennoch müssen Genehmigungen schneller erteilt werden, ohne dass Umwelt- und Sozialbelange vernachlässigt werden – eine politische, keine technische Herausforderung.
Zudem ist es schwierig, ausreichend qualifizierte Ingenieur:innen zu finden. Dieser Fachkräftemangel betrifft die gesamte Branche – von Herstellern über Netzbetreiber und Versorgungsunternehmen bis hin zu Beratern.
"Resilienz bedeutet, ein System so zu gestalten, dass es Probleme bewältigen kann, ohne negative Folgen zu erleiden. Diese Herausforderungen reichen von Cyberangriffen bis zu Unwetterereignissen. Mit der Zunahme von Klimaschocks – etwa durch Waldbrände, extreme Hitze oder Kälte und Überschwemmungen – ist mit häufigeren Ausfällen zu rechnen."
Fällt ein Stromkreis aus, muss ein zweiter übernehmen können. Man müsste nicht nur in Erwägung ziehen, weitere Stromkreise hinzuzufügen, sondern auch, sie nicht im selben Übertragungskorridor zu errichten, da ein und dasselbe Wetterereignis beide Stromkreise ausfallen lassen könnte. Die Frage der Widerstandsfähigkeit ist ein großes Thema, das von Fall zu Fall behandelt werden muss. Es kann nicht verallgemeinert werden.
Zuverlässigkeit, die als Index für Ausfallsicherheit angesehen werden kann, kann in ein System eingebaut werden, aber nur, wenn der Kunde bereit ist, dafür zu zahlen. Heutzutage verlangen beispielsweise die Eigentümer von Rechenzentren eine sehr hohe Zuverlässigkeit, weil Unterbrechungen für sie ein No-Go sind, und sie sind bereit, für Zuverlässigkeit einen Aufpreis zu zahlen. In der Breite des Marktes ist das jedoch nicht die Regel.
Welche Botschaft braucht es, um Regierungen, Hersteller und Netzbetreiber zu überzeugen, jetzt massiv zu investieren?
Wir wissen mit Sicherheit, dass die Energiewende ohne Wenn und Aber kommen wird. Außerdem gibt es eine wachsende Nachfrage nach Elektrifizierung, auch in Asien, Afrika und Südamerika. Diese Nachfrage ist unabhängig von der Energiewende. Wir müssen also sowohl den globalen Nachfrageanstieg als auch die Anforderungen der Energiewende bewältigen.
Ein wichtiger Bestandteil der Energiewende ist die Vernetzung der Netze. Man braucht keine Wind- oder Solarenergie in seinem eigenen Garten. Verbundsysteme nutzen zeitliche und klimatische Unterschiede zwischen Regionen und ermöglichen es, Energie über große Distanzen dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht wird. TGS war an vielen Verbundprojekten beteiligt, bei denen HGÜ zum Einsatz kam, z. B. am HGÜ-Projekt zwischen Ägypten und Saudi-Arabien, das derzeit durchgeführt wird.
Wichtige Kennzahlen für den Netzausbau
- : > 200 Mrd. US-Dollar
jährlich werden bis Mitte der 2030er Jahre weltweit in die Stromübertragung investiert werden müssen, um den steigenden Strombedarf zu decken.
- : >1.600 GW
Wind- und Solarprojekte befinden sich in fortgeschrittenem Entwicklungsstadium und warten derzeit auf den Netzanschluss.
- : +1,5 Millionen
Fachkräfte werden bis 2030 zusätzlich für Bau und Instandhaltung der Netze benötigt – neben den derzeit etwa 8 Millionen Beschäftigten.
Warum der Zusammenschluss von TGS und Ramboll für die Netzambitionen der Energiewirtschaft sinnvoll ist
TGS wurde im August 2025 Teil von Ramboll. Durch den Zusammenschluss wird die umfassende technische Kompetenz von TGS in bestimmten Bereichen der Netzwertschöpfungskette, z. B. bei der HGÜ, mit den umfassenden Kompetenzen von Ramboll in anderen Bereichen dieser Wertschöpfungskette kombiniert.
"Früher konnten Ramboll und TGS bestimmte Projektteile jeweils separat abdecken, und Kund:innen mussten sich zusätzliche Partner suchen", sagt Mohamed Rashwan. "Jetzt bieten wir als Ramboll einen echten One-Stop-Shop für Netzprojekte."
Integration erneuerbarer Energien
Erneuerbare Energien tragen heute weniger als 30 % zur weltweiten Stromerzeugung bei. Ein schneller Ausbau von Solar- und Windprojekten ist entscheidend, um diesen Anteil zu erhöhen. Gleichzeitig erfordert die Integration großer Mengen an Wind- und Solarenergie ein leistungsfähiges Stromnetz.
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