22. Februar 2020

“Digitalisierung braucht einen Wandel in den Köpfen“

Ramboll berät und begleitet in Deutschland zahlreiche öffentliche Auftraggeber – darunter die Stadt Dresden, den Landkreis Nordsachsen und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales – bei der Einführung moderner Verwaltungsstrukturen und digitaler Prozesse. Worauf es dabei ankommt und warum Ämter und Behörden gut daran tun, nicht nur in eine moderne IT-Ausstattung zu investieren, sondern auch und vor allem in die Akzeptanz und digitale Kompetenz ihrer Mitarbeiter, erklären die Ramboll-Experten Dominik Benke und Arne Treves.

Länder wie Dänemark und die Niederlande machen vor, wie positiv sich eine digitale Verwaltung auf die Zufriedenheit von Mitarbeitern und Bürgern auswirkt. Warum fällt es deutschen Behörden so schwer, nachzuziehen? Arne Treves: Die deutsche Verwaltung ist sehr strukturiert und arbeitet Anträge Schritt für Schritt nach strengen Vorgaben und in eng abgegrenzten Kompetenzbereichen ab. Das hat sich in der Vergangenheit grundsätzlich bewährt, verhindert aber den kreativen Umgang mit komplexeren Fällen. Nur sehr erfahrene Mitarbeiter trauen sich, auch einmal von diesem Weg abzuweichen und ihren Ermessenspielraum zu nutzen. Die hergebrachten Strukturen und der Personalmangel vielerorts führen dazu, dass die Antragsbearbeitung oft sehr langwierig ist und den Erwartungen der Bürger nicht mehr gerecht wird. Dazu kommen eine weit verbreitete Technik-Skepsis und Geldmangel auf Seiten der Kommunen. All das bremst die Veränderungsbereitschaft der öffentlichen Verwaltung und damit die Digitalisierung. Was muss sich ändern, damit die digitale Verwaltung auch in Deutschland Wirklichkeit wird? Arne Treves: Neben ausreichenden finanziellen Mitteln und qualifizierten Nachwuchskräften ist vor allem ein Einstellungswandel nötig, ein sogenannter „Mindset-Change“. Die Verwaltung muss ihren Mitarbeitern mehr Gestaltungsspielraum und Eigenverantwortung zugestehen und damit auch die Angst vor notwendigen Veränderungen wie der Digitalisierung nehmen. Kommt es nicht zuerst darauf an, die nötige IT-Infrastruktur bereitzustellen? Dominik Benke: Natürlich ist eine moderne IT-Ausstattung wichtig. Aber Investitionen in Technik alleine reichen nicht aus. Der Wandel in den Köpfen ist ausschlaggebend. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen mitgenommen werden. Zum einen ganz praktisch, indem sie lernen, mit den neuen digitalen Tools umzugehen und Anträge effizienter zu bearbeiten. Zum anderen, indem sich Arbeitskultur und Haltung verändern. Die elektronische Aktenverwaltung und die Automatisierung von Standardvorgängen stellt keine Bedrohung dar, sondern ermöglicht Mitarbeitern mehr Freiheit, Kreativität und Austausch bei der Fallbearbeitung. Zum Beispiel, weil sie Homeoffice-Lösungen und eine schnelle, abteilungs- und ämterübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht und das mehrfache Eintippen der immer gleichen Daten entfällt. Außerdem verschafft sie Zeit, sich intensiver um die Beratung und Betreuung einzelner Kunden zu kümmern. Das erhöht die Zufriedenheit auf beiden Seiten und schafft mehr Bürgernähe. Wie profitieren die Bürger, wenn die Verwaltung digitaler wird? Arne Treves: Die Bürger wollen Standardangelegenheiten möglichst einfach, schnell und ohne Termin am Computer oder via Mobil-App von zuhause oder dem Büro aus erledigen. Und sie wollen ein Gesicht – also feste und kompetente Ansprechpartner, die sie bei komplexen Anträgen und sozialen Angelegenheiten persönlich beraten und betreuen. Eine digitale Verwaltung kann beides leisten und zum Beispiel durch die Schaffung zentraler Servicepoints „One-Stop-Government“-Lösungen bieten. Auch „No-Stop-Government“- Ansätze sind in Zukunft denkbar, bei denen Krankenhäuser Neugeborene melden und Autohändler die KfZ-Anmeldung übernehmen. So bleibt den Bürgern bei einfachen Angelegenheiten der Gang zum Amt komplett erspart. Ramboll hat schon zahlreiche Ämter und Behörden bei der Digitalisierung unterstützt. Wie sieht ein typischer Beratungsprozess aus? Dominik Benke: Wie bei jedem Veränderungsprozess gilt auch auf dem Weg zur digitalen Verwaltung: Der Mensch spielt die entscheidende Rolle. Deshalb gehen wir auch technische Lösungen ganzheitlich an. Im Zentrum unserer Analyse und Beratung steht immer die Frage: Wie nimmt man die Menschen mit? Wie müssen sich die bisherigen Arbeitsstrukturen und -räume ändern? Worauf müssen Führungskräfte achten? Was benötigen die Zielgruppen? Arne Treves: Wir verstehen uns als Partner auf Augenhöhe. Mit unseren dänischen Wurzeln verfolgen wir einen „nordischen Ansatz“. Dabei ist unser Ziel, gemeinsam mit den Entscheidern – also zum Beispiel Bürgermeistern und Amtsleitern – die Probleme zu identifizieren und dann gemeinsam mit den Führungskräften aus den Referaten und mit Mitarbeitern Lösungsansätze für nötige Veränderungen zu entwickeln. Analyse und Konzeption machen wir immer gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen der Verwaltung. Sie müssen die neuen Lösungen in Zukunft tragen und leben. Im Idealfall gestalten wir neue Prozesse für die Verwaltung auch im Austausch und Ko-Kreation mit ihren Zielgruppen und Nutzern. Es geht darum, etablierte Prozesse nicht einfach zu optimieren, sondern gemeinsam neu zu denken.