Julia Nussholz; Ricardo Weigend Rodriguez; Alexandra Pellas
26. August 2024
Digitale Produktpässe – Nachhaltige Produkte im Zeitalter der Transparenz
In weniger als drei Jahren soll der neue digitale Produktpass (DPP) eingeführt werden – höchste Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.
Was ist ein DPP?
Stellen Sie sich vor, jedes Produkt auf dem Markt hätte eine feste digitale ID, vergleichbar mit RFID oder einem QR-Code, die umfassende Informationen über den Lebenszyklus des Produkts enthält – von der Herkunft und der Materialzusammensetzung über die Herstellungsverfahren bis hin zur Entsorgung bzw. Wiederverwendung. Und genau das ist ein DPP. Der digitale Produktpass dient als Informationsquelle für wichtige Lebenszyklusdaten, die wichtige Ziele rund um Kreislaufwirtschaft und Energieeffizienz unterstützen. Damit sorgt er für Transparenz, ermöglicht besser fundierte Entscheidungen und fördert einen systematischen Ansatz für mehr Nachhaltigkeit.
Warum ist der DPP so wichtig?
Digitale Produktpässe sind mehr als nur eine weitere gesetzliche Auflage, die eingehalten werden muss. Sie bieten Unternehmen eine strategische Möglichkeit, ihre Nachhaltigkeitsleistung zu kommunizieren, Daten auszutauschen, Offenlegungspflichten nachzukommen und sich vom Wettbewerb abzuheben. Im Folgenden gehen wir näher auf diesen Aspekt ein.
Digitale Produktpässe sind der Schlüssel zur Einhaltung der Ökodesign-Verordnung (ESPR), der Batterieverordnung und der bevorstehenden Neuauflage der Bauprodukteverordnung, in denen DPP für verschiedene Produktkategorien vorgeschrieben werden. Ziel dabei ist es, dass für alle auf dem Markt erhältlichen Produkte entsprechende Daten über Nachhaltigkeits- und Kreislaufstandards abrufbar sind. Gleichzeitig heißt das, dass sich die Unternehmen schnell anpassen müssen, um nicht hinter die Entwicklung zurückzufallen und Marktanteile an Wettbewerber zu verlieren, die bereits über DPP verfügen.
Der Zugang zu detaillierten Produktinformationen kann viele Vorteile fürs Geschäft bringen, beispielsweise indem er Innovationen fördert, die Lieferkette optimiert, die Ressourceneffizienz verbessert und letztlich auch Kosteneinsparungen ermöglicht sowie den Wert der Marke steigert. Daneben können digitale Produktpässe auch Risiken in der Lieferkette reduzieren. Eine verbesserte Datenverfügbarkeit und mehr Transparenz in der gesamten Lieferketten können zu einem effizienteren Risikomanagement führen und den Materialeinsatz optimieren.
Mit digitalen Produktpässen können Unternehmen ihren Nachhaltigkeits- und Offenlegungspflichten besser nachkommen, indem sie für Transparenz sorgen und Produktdaten über Recyclinganteile, Reparierbarkeit und Energieeffizienz bereitstellen. Außerdem helfen DPP, die Produkte kreislauffähiger zu machen, da sie ihre Langlebigkeit, Wiederverwendbarkeit und Recyclingfähigkeit verbessern. So können digitale Produktpässe auch dazu beitragen, die Fortschritte bei ambitionierten Nachhaltigkeitszielen, wie einem vollständig kreislauffähigen Produktportfolio, zu verfolgen.
Da sich Kunden auf die Daten und DPP ihrer Lieferanten verlassen werden, sind die digitalen Produktpässe unerlässlich, um die Kundenerwartungen in der gesamten Wertschöpfungskette zu erfüllen. Insbesondere große Unternehmen, die bei der Erfüllung ihrer Offenlegungspflichten (z. B. CSRD und EU-Taxonomie) einen Vorsprung haben, werden die Zusammenarbeit mit Partnern bevorzugen, die bereits über transparente Kreislaufdaten und DPP verfügen.
Wer braucht künftig DPP?
Immer mehr EU-Verordnungen werden in den nächsten Jahren die Erstellung digitaler Produktpässe oder Teilen davon vorschreiben, um produktbezogene Informationen digital verfügbar zu machen. Bislang sind das die Ökodesign-Verordnung (ESPR), die Batterieverordnung und die bevorstehende Neuauflage der Bauprodukteverordnung.
In der ESPR sind DPP zunächst für 13 Produktgruppen vorgesehen, darunter Energieprodukte, Elektronik, Eisen, Stahl, Aluminium, Textilien, Möbel, Matratzen, Reifen, Reinigungsmittel, Farben, Schmiermittel und Chemikalien. Später wird der Geltungsbereich der ESPR schrittweise auf weitere Produktgruppen ausgeweitet, um den EU-Anforderungen rund um Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit gerecht zu werden.
Nach ihrer Einführung dürften auch die Batterieverordnung und die Bauprodukteverordnung ein DPP für sämtliche Produkte vorschreiben, die unter die jeweilige Verordnung fallen und auf dem europäischen Markt verkauft werden.
Die Entwicklung digitaler Produktpässe wird zu einer kollektiven Aufgabe. Die Verantwortung dafür liegt bei den Herstellern, Importeuren und anderen Unternehmen, die regulierte Produkte auf den EU-Markt bringen. Aber auch Lieferanten, Einzelhändler und andere Zwischenhändler sind in der Pflicht und müssen ebenfalls Produktdatenblätter für Komponenten oder montierte Produkte erstellen und weitergeben.
Zur Orientierung und konkreten Entwicklung der DPP wird die EU delegierte Rechtsakte veröffentlichen, in denen die Anforderungen an die digitalen Produktpässe festgelegt sind. Mit der Entwicklung harmonisierter Normen werden die entsprechenden Organisationen dazu beitragen, den Prozess weiter zu optimieren, während die benannten Stellen im Rahmen der delegierten Rechtsakte eine Drittzertifizierung anbieten werden.
Wie bereitet man sich auf eine Zukunft mit DPP vor?
Die EU-Kommission wird in Kürze detaillierte delegierte Rechtsakte veröffentlichen, aus denen die genauen Anforderungen an digitale Produktpässe hervorgehen. In der Zwischenzeit ist es ratsam, anhand der bereits verfügbaren Anforderungen in der ESPR und der voraussichtlichen Auflagen der delegierten Rechtsakte mit den Vorbereitungen zu beginnen, um der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. Diese Vorbereitung sollte die folgenden Schritte umfassen:
• Überblick über die regulatorischen Anforderungen
Besonders am Anfang kann die Entwicklung eines DPP ein komplexes und zeitaufwändiges Unterfangen sein. Es braucht einen guten Überblick über die regulatorischen Anforderungen, um die Produkte, Komponenten und Materialien zu bestimmen, für die nach den verschiedenen EU-Verordnungen ein DPP erforderlich ist. Diese müssen analysiert und strukturiert werden, um alle gesetzlichen Auflagen zu erfüllen, wobei es den Unternehmen hier eventuell noch an Klarheit fehlt.
• Prozessgestaltung und Datenbeschaffung für DPP
Sobald die Datenanforderungen geklärt sind, kann eine Struktur des Endprodukts und seiner einzelnen Zwischenprodukte entworfen werden. Um diese Daten zu beschaffen, müssen gegebenenfalls interne Systeme abgeglichen, aktuelle Produktnachhaltigkeitsdaten abgefragt und Unterlagen wie Umweltproduktdeklarationen (EPDs) und Lebenszyklusbeurteilungen (LCAs) zusammengestellt werden. Dabei sollten größere Datenlücken identifiziert werden, die durch Einbindung der Lieferkette geschlossen werden müssen.
• Einführung und Implementierung der DPP
Für die Einführung und Implementierung der digitalen Produktpässe muss das jeweilige Produkt physisch gekennzeichnet und der EPP auf der gewählten digitalen Plattform bereitgestellt werden. Diese muss gewisse Anforderungen an Interoperabilität, Flexibilität und mehr erfüllen. Die Zugriffsrechte sind nach dem Need-to-Know-Prinzip festzulegen, sodass Verbraucher:innen und wiederaufbereitende Unternehmen die relevanten Informationen einsehen können. Die Implementierung von DPP erfordert nicht nur die Schulung von Teams und die Abstimmung interner Prozesse, sondern auch die Entwicklung effizienter Beschaffungspraktiken, um eine reibungslose Erstellung der elektronischen Produktpässe zu gewährleisten. Darüber hinaus sollten die DPP ausreichend geschützt werden, beispielsweise über Sicherungskopien bei einem zertifizierten DPP-Dienstleister. Händler und Online-Marktplätze müssen Zugriff auf die Daten bzw. die eindeutige Produktkennung für das entsprechende Produkt haben.
Nach der Einführung der digitalen Produktpässe müssen die Daten während des gesamten Produktlebenszyklus von den Verantwortlichen auf dem aktuellen Stand gehalten werden.
Herausforderungen meistern und Chancen nutzen
Bis 2027 soll der neue digitale Produktpass (DPP) für viele Produktgruppen verbindlich werden. Daher ist es ratsam, sich frühzeitig mit der Materie zu beschäftigen. Unternehmen sollten bereits jetzt überlegen, wie sie den DPP in ihre operative und strategische Planung integrieren können. So sind sie nicht nur für die bevorstehenden Vorschriften gewappnet, sondern können sich auch an der Spitze der DPP-Agenda positionieren und die damit verbundenen strategischen Chancen nutzen.
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Ricardo Weigend Rodriguez
Principal Consultant