Arianna Bottome

16. November 2022

Bewährte Verfahren zur Berechnung vermiedener Emissionen auf Produktebene

Auf der Grundlage einer umfangreichen Auswertung verknüpft dieser Artikel einen einfachen, 3 Schritte umfassenden Ansatz zur Berechnung der vermiedenen Emissionen auf Produktebene mit allen bewährten Verfahren, die wir im Laufe der Zeit erfasst haben.

In unserem letzten Artikel unter dem Titel „Was sind Scope 4-Emissionen und weshalb sollte ich mich darum kümmern?“ haben wir versucht, den Schleier um das Konzept von "Scope 4-Emissionen" bzw. wie wir es nennen: "vermiedene Emissionen" zu lüften. Diese Kategorie von Emissionen deckt sowohl die positiven als auch die negativen Emissionen ab, die außerhalb der Wertschöpfungskette, aber infolge der Verwendung eines Produkts / einer Dienstleistung oder infolge einer Investitionsentscheidung entstehen. Das Fazit dieses Artikels lautete, dass die Messung vermiedener Emissionen keinen Vorrang vor der Berechnung, Berichterstattung und Festlegung wissenschaftsbasierter Ziele für Scope 1, 2 und 3 haben darf. Grund dafür ist zum einen das erhebliche Potenzial zur Senkung der letztgenannten Emissionen (angesichts der Tatsache, dass das emittierende Unternehmen sie gut steuern kann), zum anderen der Umstand, dass ihre Berechnung schon schwierig genug sein kann und kein zusätzlicher Aufwand betrieben werden sollte, der die Aufmerksamkeit davon ablenkt.
Keine standardisierte Methodik
Angesichts der zunehmenden Verfügbarkeit von Informationen und Hilfsmitteln zur umfassenden Berechnung der Emissionen in Scope 1, 2 und 3 durch Unternehmen bereiten sich viele darauf vor, vermiedene Emissionen in ihre Berichterstattung mit aufzunehmen. Eine der wichtigsten Beschränkungen hierbei ist das Fehlen einer standardisierten Methodik zur Berechnung dieser Emissionen. Es gibt zwar diverse Referenzmaterialien wie das Arbeitspapier des WRI zur Schätzung und Meldung vermiedener Emissionen oder den „Policy and Action Standard“ des GHG Protocol, doch sind diese häufig branchen- oder länderspezifisch und verfolgen unterschiedliche methodische Ansätze. Wie also können Unternehmen gewährleisten, dass sie über vermiedene Emissionen korrekt und transparent berichten? Auf der Grundlage einer umfangreichen Auswertung haben wir einen einfachen, 3 Schritte umfassenden Ansatz zur Berechnung der vermiedenen Emissionen auf Produktebene mit allen bewährten Verfahren zusammengestellt, die wir im Laufe der Zeit erfasst haben:
Der erste Schritt schafft das Fundament und beschäftigt sich mit der Auswahl des richtigen Produkts für die Studie. Der zweite Schritt ist die Entscheidung über die richtige Methodik auf der Grundlage der beabsichtigten Verwendung der Ergebnisse, und der dritte und letzte Schritt konzentriert sich auf die Kommunikation ihrer Ergebnisse in einer Weise, die sowohl wertvoll für Ihre Organisation als auch transparent für alle Stakeholder ist.
Schritt 1: Wie wähle ich das richtige Produkt für meine Bewertung?
Ähnlich wie bei Lebenszyklusanalysen (LCA) besteht einer der wichtigsten Aspekte bei der Ermittlung des idealen Produkts für vermiedene Emissionen darin, dass es emissionsintensiv sein oder einen erheblichen Anteil an Ihren Gesamtemissionen haben sollte. Dies gewährleistet, dass die Auswirkungen der vermiedenen Emissionen signifikant und die Ergebnisse aussagekräftiger sind. Wenn Sie bereits eine Emissionsbewertung für einzelne Produkte erstellt haben, können Sie diese Informationen für die Auswahl Ihres Produkts verwenden. Wenn nicht, gibt es vom Grundsatz her zwei Möglichkeiten um festzustellen, ob ein Produkt emissionsintensiv ist:
1. Treibhausgas-Inventarverzeichnis des Unternehmens: Wenn Ihr Unternehmen eine Inventarisierung von Scope 1, 2 und 3 durchgeführt hat, können Sie das Inventarverzeichnis verwenden, um die Produkte bzw. Produktkategorien mit den höchsten Emissionen zu ermitteln.
2. Physische und/oder wirtschaftliche Faktoren: Dies ist zwar die am wenigsten zu bevorzugende Methode, weil bestimmte Faktoren unter Umständen nicht unmittelbar mit der Treibhausgas-Emissionsintensität korrelieren, doch können Unternehmen manche dieser Faktoren nutzen, um die Emissionsintensität auf der Grundlage von Produktmasse, -volumen oder -ausgaben zu schätzen.
Diese Optionen sind nicht erschöpfend, bieten aber die höchste Trennschärfe speziell auf Produktebene. Bei der Ermittlung des richtigen Produkts für die Bewertung sind neben der Emissionsintensität noch weitere Kriterien zu berücksichtigen, die ebenso relevant sind. Dazu gehören:
- Produkte, die von zentraler Bedeutung für das Geschäft sind, das heißt das Kernprodukt eines Unternehmens oder das Produkt mit dem höchsten Umsatzanteil
- Neue Produkte mit verbesserten Eigenschaften oder neuen Technologien, mit denen häufig ein bisheriges Produkt ersetzt werden soll
- mit der Strategie abgestimmte Produkte, das heißt Produkte, die das Erreichen bestimmter Geschäftsziele ermöglichen
Bei der weiteren Eingrenzung der Optionen und vor dem Übergang zu den Schritten 2 und 3 ist es entscheidend zu berücksichtigen, wie viele Daten für die einzelnen in Frage kommenden Produkte verfügbar sind, um nicht zu stark auf Schätzungen angewiesen zu sein. Bei der Festlegung des Zwecks und des erwarteten Ergebnisses der Bewertung ist es unser Ziel zu gewährleisten, dass die verfügbaren Daten Ergebnisse liefern, die genau genug sind, um glaubwürdige Aussagen nach außen zu kommunizieren und/oder zuverlässige Informationsgrundlagen für Produktentscheidungen zu erhalten.
Schritt 2: Welche Methodik ist für meine Bewertung am besten geeignet?
Nach der Auswahl des Produkts besteht der unmittelbar anschließende Schritt darin, über den Zweck nachzudenken, für den die Bewertung durchgeführt werden soll. Klarheit über das Ziel zu haben hilft bei der Entscheidung, welchen methodischen Ansatz Sie letztlich wählen. Es gibt zwei grundlegende Ansätze – den attributiven und den handlungskonsequenzorientierten. Beide beantworten unterschiedliche Fragen: 1. Attributiver Ansatz: Diese Methode vergleicht die Auswirkungen zwischen zwei Produkten in einem konstanten System, das heißt sie misst die jeweiligen Emissionen, die in der Wertschöpfungskette des Produkts verursacht werden, unter der Annahme, dass keine Änderungen eintreten. Die berechneten Gesamtemissionen für beide Produkte werden dann verglichen, was eine Vorstellung von den Nettoreduzierungen vermittelt.
Der attributive Ansatz ist zu bevorzugen, wenn man verstehen will, welches der untersuchten Produkte geringere oder höhere Auswirkungen auf die Umwelt hat und welches vorteilhafter ist, wenn die Ergebnisse für Aussagen nach außen verwendet werden sollen.
Beispielsweise möchte ein Unternehmen wissen, ob sein neues, mit einer Kühltechnologie behandeltes Gewebe weniger Emissionen verursacht als ein traditionelles Gewebe, weil es dadurch vermutlich weniger oft gewaschen werden muss.
2. Handlungskonsequenzorientierter Ansatz: Diese Methode misst die Auswirkungen infolge von Systemänderungen, das heißt sie misst die Emissionen in einem Ausgangszustand und vergleicht sie mit einem Szenario, in dem dieser Ausgangszustand von einer Handlung beeinflusst wird.
Der handlungskonsequenzorientierte Ansatz ist zu bevorzugen, wenn man die Auswirkungen einer Maßnahme auf die Umwelt verstehen will und die Ergebnisse des beurteilten Szenarios als Entscheidungsgrundlage verwenden möchte.
Zum Beispiel möchte ein Unternehmen verstehen, welche Auswirkungen seine Entscheidung hat, ein neues, mit einer Kühltechnologie behandeltes Gewebe zu entwickeln.
Beide Ansätze sind valide, aber jeder von ihnen hat auch Nachteile. Zum Beispiel ist der handlungskonsequenzorientierte Ansatz zwar komplexer, berücksichtigt aber marktbasierte Veränderungen und potenzielle Rebound-Effekte bei den Emissionen in der Wertschöpfungskette.
Der attributive Ansatz hingegen ist zwar einfacher, was die Methode und die Datenanforderungen betrifft, lässt Änderungen am System aber außer Acht. Letztlich ist der richtige Ansatz derjenige, der die höchste Genauigkeit und Anwendbarkeit auf der Grundlage des erwarteten Ergebnisses bietet.
Schritt 3: Wie verwende ich die Ergebnisse meiner Bewertung und kommuniziere sie transparent?
Ein wesentliches Merkmal eines guten Reportings ist es, für Klarheit und Transparenz zu sorgen – auch dann, wenn die Ergebnisse nicht wie erwartet ausfallen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Fall, wenn nach der Einführung eines neuen Projekts die Emissionen eines Unternehmens in der Wertschöpfungskette wahrscheinlich kurzfristig steigen, obwohl das neue Produkt weniger emissionsintensiv ist.
Wenn die Ergebnisse nicht vorteilhaft sind, ein Unternehmen aber beschließt, dies transparent offenzulegen, sind die Stakeholder eher geneigt, parallel hierzu dargelegten Abhilfemaßnahmen zu vertrauen und diese zu unterstützen. Achtung: Bevor Sie positive oder negative Ergebnisse extern berichten, stellen Sie sicher, dass sie gegebenenfalls bestehende lokale Vorschriften beachtet haben, um unerwartete Haftungsverpflichtungen zu vermeiden.
Neben der Dokumentation und Bekanntgabe der verwendeten Methodik sind bei der öffentlichen Kommunikation der Ergebnisse fünf zentrale Grundsätze zu beachten:
  1. Achten Sie darauf, dass die Emissionen nach Scope 1, 2 und 3 klar und korrekt berichtet worden sind, bevor Sie auf vermiedene Emissionen eingehen.
  2. Stellen Sie klar, dass vermiedene Emissionen (in keiner Weise) in Minderungen Ihrer Emissionen nach Scope 1, 2 und 3 zu übersetzen oder damit zu vergleichen sind.
  3. Vermeiden Sie sich überscheidende Erklärungen (z. B. für ein und dieselbe Maßnahme niedrigere Scope 3-Emissionen und höhere vermiedene Emissionen in Anspruch zu nehmen).
  4. Legen Sie gegebenenfalls erkannte Kompromisse mit anderen Kategorien von Umweltauswirkungen (außer THG) offen
  5. Berichten Sie die vergleichende Gesamtauswirkung, einschließlich positiver und negativer Auswirkungen
Es ist verständlich, dass man sich von der Vorstellung, noch über einen weiteren Emissionsbereich berichten zu müssen, leicht überfordert fühlen kann – doch ist zu erwarten, dass mit der weiteren Berichterstattung der Unternehmen zu vermiedenen Emissionen die Leitlinien einfacher und leichter umsetzbar werden. Bis es so weit ist, können Ihnen diese Schritte als Hilfestellung für den Einstieg dienen.
Über die Autorin
Arianna Bottome ist strategische Nachhaltigkeitsberaterin bei Ramboll Management Consulting und bringt 6 Jahre multidisziplinäre Erfahrung in der Verbrauchsgüterbranche mit, insbesondere in der Bekleidungsindustrie. Mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit von Unternehmen hat sie mit Unternehmen unterschiedlicher Branchen an der Entwicklung von Umweltbilanzen, Klimastrategien und Nachhaltigkeitsberichterstattung nach führenden Branchenkonzepten gearbeitet.

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