Neil Hugh Mclean Goring
15. Mai 2024
Die wahre Stärke urbaner Küstenentwicklung liegt darin, dem Wasser seinen natürlichen Weg zu lassen
Seit Jahrtausenden verwandeln Menschen Deltas, Flüsse, Küsten und andere Gewässer in dicht besiedelte urbane Räume. Doch Klimawandel und extreme Wetterereignisse stellen unsere bisherigen Strategien im Umgang mit Wasser zunehmend infrage. Jetzt gilt es, mit der Natur zu arbeiten – nicht gegen sie, betonen Neil Goring und Simon Kates von Ramboll, beide ausgewiesene Experten für Wasserinfrastruktur und integrierte Stadtplanung.
Können Sie erklären, warum die Anpassung an das Küstenklima eine der komplexesten Disziplinen der Stadtentwicklung ist?
NEIL: Kurz gesagt: Es hängt stark von Landbesitz und Eigentumsverhältnissen ab. Bei der Klimaanpassung in Städten müssen nahezu immer zahlreiche Interessengruppen zusammenkommen – von Stadtplanern über einzelne Grundstückseigentümer bis hin zu ganzen Gemeinden. Dabei gilt es, eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen: politische Interessen, wirtschaftliche Entwicklung, Wohnbedürfnisse, biologische Vielfalt und Lebensräume für Wildtiere, um nur einige zu nennen. Die Herausforderung besteht darin, all diese Elemente zusammenzuführen, um neue, tragfähige Lösungen zu schaffen.
SIMON: Eine weitere Herausforderung ist, proaktiv auf Klimaprojektionen zu reagieren – nicht erst, wenn Katastrophen eintreten. Wie viele Städte hat auch New York seine Erfahrungen mit Extremwetter gemacht. Vor Hurrikan Sandy 2012 gab es zwar Gespräche und erste politische Maßnahmen zu Sturmfluten, aber weder ausreichend Aufmerksamkeit noch genügend Ressourcen. Ähnlich verhielt es sich vor dem Tropensturm Ida 2021 bei Starkregenereignissen. Heute ist Klimaanpassung zwar in aller Munde, doch sie bleibt äußerst komplex und kostenintensiv. Viele Städte setzen auf erhöhte Straßenränder, um Wasser fernzuhalten – diese starren, harten Infrastrukturen sind jedoch meist nur mittelfristige Lösungen und eignen sich kaum, um mit Wasser zu arbeiten oder die Natur zu stärken.
Warum haben wir noch nicht den "goldenen Schlüssel" zur Anpassung städtischer Küstengebiete gefunden?
NEIL: Wer auf die letzten 150 Jahre Urbanisierung weltweit blickt, erkennt ein wiederkehrendes Prinzip: Städte wurden fast überall für eine einzige Nutzung entwickelt. Deshalb gibt es klar getrennte Industrie-, Erholungs-, Wohn- oder landwirtschaftliche Gebiete. Auf den ersten Blick mag das sinnvoll erscheinen, doch in Wirklichkeit entspricht es kaum den ökologischen Prozessen und berücksichtigt Wasserflüsse in der Stadtgestaltung kaum. Erst in jüngster Zeit setzt sich eine integrierte, multifunktionale Planung durch, bei der ein naturbasierter Ansatz das Wasser in Grünflächen statt in Rohren lenkt und Wohnen, Einzelhandel, Industrie und Landwirtschaft nebeneinander bestehen können.
SIMON: Wie Neil sagt, war der Übergang von Einzelnutzungs- zu Mehrzweckgebieten ein wichtiger Fortschritt. In den USA und weltweit wurden alte Industrieflächen in lebendige, multifunktionale Räume verwandelt, die der lokalen Wirtschaft, dem Wohnungsbau, dem Zugang zum Wasser, der Gleichberechtigung und weiteren städtischen Vorteilen dienen. Doch gerade am Wasser zeigen sich durch den Klimawandel neue Herausforderungen: Die bisherigen Erfolge bringen die Notwendigkeit naturbasierter Lösungen und Anpassungsstrategien in den Vordergrund.
Was können Stadtplaner und Entscheidungsträger angesichts der Geschichte der Stadtentwicklung und der aktuellen Notwendigkeit des Hochwasserschutzes am Wasser tun, um zu helfen?
NEIL: Zunächst sollte die Einwegnutzungsphilosophie für Küstengebiete der Vergangenheit angehören. Stattdessen brauchen wir ein umfassendes Verständnis dafür, wie Wohn-, Industrie-, Einzelhandels- und Erholungsbereiche im Einklang mit natürlichen Ökosystemen zusammenwirken können – um Räume zu schaffen, in denen Mensch und Natur gleichermaßen gedeihen. Hochwasserschutz ist dabei nur ein Element; die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt ist ebenso entscheidend. Wir benötigen ein völlig neues Denken über Küstenräume und müssen deutlich mehr Interessengruppen in die Entscheidungen einbeziehen.
SIMON: Ich stimme Neil vollkommen zu. Meiner Ansicht nach sollte der bisherige „Flickenteppich“-Ansatz der Klimaanpassung einer proaktiven Strategie weichen, die nicht nur akuten Hochwasserschutz bietet, sondern auch langfristige Folgen von steigendem Meeresspiegel und Extremwetter berücksichtigt. Gestalterisch liegt der eigentliche Durchbruch darin, das Wasser hereinzulassen, statt es abzuwehren – Küstenstädte so zu planen, dass sie harmonisch mit der Natur zusammenarbeiten. Klimatische Veränderungen zwingen uns, über die Gegenwart hinauszudenken und das Leben heutiger und zukünftiger Generationen langfristig zu gestalten.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Entwicklung der städtischen Küstengebiete in 10-15 Jahren?
NEIL: Auch auf die Gefahr hin, poetisch zu klingen: Ich hoffe, wir haben endlich erkannt, dass wir Wasser nicht nur kontrollieren, sondern mit ihm interagieren müssen. Wasser ist eng mit unserem Leben verbunden – fast alle großen Städte der Welt liegen an Flüssen oder Küsten. Letztlich tut Wasser, was es tun will, und je mehr wir mit ihm arbeiten, desto besser. Von den zyklischen Praktiken indigener Völker bis hin zur modernen, naturnahen Stadtplanung geht es darum, das Wasser dorthin fließen zu lassen, wo es sein will, und es dort zu belassen. Das könnte der Beginn einer neuen Ära nachhaltiger Stadtplanung sein.
SIMON: Ich sehe es ähnlich: Ein ganzheitliches Denken ist überfällig, und Partnerschaften sind entscheidend, um Innovationen voranzutreiben. Die gute Nachricht ist, dass sich die Bereitschaft, grundlegende Fragen anzupacken, langsam ändert. Der Klimawandel verschwindet nicht, aber wir können proaktiv Strategien entwickeln, um Risiken für Menschen und gefährdete Arten zu verringern und gleichzeitig die Lebensqualität zu erhöhen. Der Wandel ist langsam, aber er kommt – und jeder muss seinen Teil dazu beitragen.
Drei Wege, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Lebensqualität in städtischen Küstengebieten zu verbessern
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Anders anfangen
Die Anpassung städtischer Küstengebiete an den Klimawandel erfordert Mut und Offenheit: Es gilt, Orte neu wahrzunehmen, alte Muster zu hinterfragen, innovative Ideen auszuprobieren und gemeinsam höhere Ziele für nachhaltige Wirkung zu erreichen.
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Aufbau stärkerer Partnerschaften und Pflege von Ökosystemen
Die Umsetzung eines naturbasierten Ansatzes in der Stadtentwicklung erfordert, dass wir erkennen: Der Mensch ist Teil der Natur. Unsere Aufgabe besteht darin, unsere Gestaltungskraft im Einklang mit ökologischen Prozessen einzusetzen – statt sie zu beherrschen. Die Städte der Zukunft entstehen nicht durch einzelne Meilensteine, sondern durch eine Denkweise, die von mutigen Akteuren und starken Allianzen getragen wird.
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(Ko-)kreativ sein
Co-Kreation beginnt mit einem erweiterten kollektiven Bewusstsein für den Ort, seine Essenz und sein Potenzial. Wenn wir die Orte aufmerksam wahrnehmen und traditionelles Wissen mit modernen Innovationen verbinden, entstehen kreative, inspirierende und lebensbejahende Lösungen.
"Von den zyklischen Praktiken indigener Völker bis hin zur modernen, naturnahen Stadtgestaltung liegt die wahre Veränderung darin, das Wasser seinen natürlichen Weg gehen zu lassen und es dort zu belassen, wo es sein will. Dies markiert den Beginn einer neuen Ära nachhaltiger Stadtplanung."
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Neil Hugh Mclean Goring
Senior Water and Climate Expert in Integrated Design
+45 51 61 74 53
Simon Kates
Project Manager, Water Infrastructure & Climate Adaptation