Hannes Reuter

24. Oktober 2022

Der neue Ansturm auf Mineralien für saubere Energie

Die Kosten für viele in erneuerbaren Technologien eingesetzte Materialien sind in die Höhe geschossen, was die Hersteller zu Preiserhöhungen veranlasst hat. Doch ist das größte Dilemma in den kommenden Jahren nicht der Preis, sondern die Frage, woher diese Metalle und Mineralien kommen - und ob wir genug davon bekommen können, sagt Hannes Reuter, Geschäftsführer für Energie bei Ramboll.

Aerial view of a coal mine
Eine Art, sich den grünen Übergang vorzustellen, ist die Abkehr von brennstoffintensiven Systemen - mit Öl, Gas und Kohle - und die Hinwendung zu materialintensiven Systemen.
Nehmen wir zum Beispiel die Autos: Ein durchschnittliches Elektroauto benötigt mehr als 200 kg Mineralien und Metalle, zusätzlich zu Stahl und Aluminium. Im Vergleich dazu benötigt ein herkömmliches Auto weniger als 40 kg, das meiste davon Kupfer. Der Hauptunterschied ist die Fahrbatterie, die große Mengen an Lithium, Graphit, Nickel und Kobalt enthält.
Wenn die Preise für diese Mineralien steigen, steigen auch die Kosten für die Herstellung von E-Fahrzeugen. Deshalb schlugen viele Marktbeobachter Alarm, als der Lithiumpreis Anfang dieses Jahres um mehr als 700 % anstieg. Den gleichen allgemeinen Trend sehen wir auch bei erneuerbaren Technologien wie Wind und Sonne.

(Quelle: die Internationale Energieagentur)

Die Internationale Energieagentur befürchtet, dass Materiamangel letztlich eine „weniger erschwingliche und verzögerte Umstellungen auf saubere Energie“ bedeuten könnte.
Wir haben uns mit Hannes Reuter, Geschäftsführer von Ramboll Energy, unterhalten, um zu erfahren, wohin dieser Trend geht.
Warum steigen die Rohstoffpreise?
“Es gibt mehrere Gründe für deren hohe Volatilität. Erstens sind die globalen Lieferketten durch den Krieg in der Ukraine und die Erholung von der Covid-Pandemie unterbrochen worden, was die Transportpreise in die Höhe getrieben hat. Aber wir sehen auch den positiven Trend, dass der grüne Wandel endlich Fahrt annimmt, was zu mehr Nachfrage und Wettbewerb führt. Das führt aber auch zu einer höheren Nachfrage nach kritischen Rohstoffen und damit zu höheren Preisen.”
“Der zweite Faktor ist die Verfügbarkeit, bei der die Weltpolitik eine wichtige Rolle zu spielen beginnt. Derzeit werden die meisten kritischen Materialien in einer Handvoll Länder abgebaut und veredelt, darunter China, das rund 90 % der weltweiten Seltenen Erden veredelt. Ein weiterer Mineralienexporteur ist Russland, das mit Sanktionen belegt wurde. Mit der Zunahme der globalen Spannungen sehen die Regierungen in der EU, den USA und vielen anderen Ländern die Gefahr von Lieferausfällen in einem neuen und viel ernsteren Licht. Die Herausforderung liegt darin, dass die Vorlaufzeit für die Inbetriebnahme einer neuen Mineralienproduktion - von der Identifizierung der Ressource über den Abbau bis zur Vermarktung - etwa 16 Jahre beträgt.”
Gibt es Anzeichen dafür, dass der Preisanstieg den Übergang verlangsamt?
“Ja und nein. Die Notwendigkeit, von den russischen Energielieferungen wegzukommen, führte zu einem verstärkten Vorstoß in die grüne Energiewende und zu einer erheblich verstärkten Unterstützung durch die Regierungen. Doch wirkt sich der Anstieg der Energie- und Materialpreise auf die Geschäftsmodelle für grüne Transformationsprojekte aus. In einigen Fällen sehen wir, dass endgültige Investitionsentscheidungen aufgrund der Marktvolatilität und Unsicherheit aufgeschoben werden. Das betrifft zum Beispiel den grünen Wasserstoff, bei dem 70 % der Kosten auf den Strompreis entfallen.”

“Viele der für die Energiewende benötigten kritischen Rohstoffe kommen in Europa natürlich vor, zum Beispiel in den nordischen Ländern, werden aber bisher nicht abgebaut. Und da die Vorlaufzeiten so lang sind, müssen wir jetzt dringend mit dem Aufbau der Lieferkette beginnen.”

HANNES REUTER
Managing Director, Ramboll Energy

“Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Entwicklung grüner Investitionen verlangsamen wird, da kurzfristige Preiserhöhungen die Investitionsqualität von Projekten mit einem Zeithorizont von über 20 Jahren nicht wesentlich verändern werden. Aber es kann bedeuten, dass sich einige Projekte um sechs Monate oder ein Jahr verzögern, was kritisch ist, da die Zeit bei diesem Wandel von entscheidender Bedeutung ist.”
Was können Unternehmen und Regierungen tun, um diese neue Herausforderung zu bewältigen?
“Wir müssen vermeiden, den gleichen Fehler wie beim Erdgas zu machen, wo sich die europäischen Länder extrem verwundbar und abhängig von z.B. russischen Lieferungen gemacht hatten. Viele der für die Energiewende benötigten kritischen Rohstoffe kommen in Europa natürlich vor, zum Beispiel in den nordischen Ländern [1], werden aber bisher nicht abgebaut. Und da die Vorlaufzeiten so lang sind, müssen wir jetzt dringend mit dem Aufbau der Lieferkette beginnen.”
“Die Regierungen sollten die Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen. Ein weiterer wichtiger Hebel ist die Kreislaufwirtschaft. Wenn wir mehr kritische Materialien recyceln würden, könnten wir einige der Probleme der Lieferkette lindern.”
Viele erneuerbare Technologien haben risikobehaftete Lieferketten [2], und die EU-Kommission hat kürzlich ein Verbot von per Zwangsarbeit hergestellten Produkten vorgeschlagen. Ist es für Regierungen überhaupt möglich, den grünen Wandel zu erzielen, wenn sie die Materialien von anderen Anbietern beziehen müssen?
“Kurzfristig ist das ein harter Kampf, weil es keine alternativen Lieferketten gibt. Daher ist es so wichtig, jetzt damit zu beginnen, den Weg für Alternativen zu ebnen. Und wenn erst einmal Alternativen zur Verfügung stehen, wird es viel einfacher werden, bessere Bedingungen z.B. gegen Zwangsarbeit durchzusetzen. Auf lange Sicht sind die Aussichten positiv. Wenn wir mehr Energie aus Sonne oder Wind schöpfen, werden wir weniger anfällig für das Kartell der Ölproduzenten.”
“Und schließlich sollten wir nicht vergessen, dass wir zwar eine Preisinflation bei den erneuerbaren Technologien erleben, dass dies aber auch für die fossilen Brennstoffe zutrifft. Trotz der Preisvolatilität werden erneuerbare Energien weiterhin die günstigste Form neuer Energiekapazitäten sein.”
[1]. Ein Bericht des Nordischen Ministerrats kam kürzlich zu dem Schluss, dass die Region fast alle von der EU definierten kritischen Rohstoffe liefern kann, einschließlich der seltenen Erden. Quelle.
[2]. Etwa 70 % des weltweit geförderten Kobalts wird in der Demokratischen Republik Kongo abgebaut, die laut IEA für Arbeitsrechtsverletzungen berüchtigt ist und in der in 30 % der handwerklichen und kleinen Minen des Landes Kinderarbeit identifiziert wurde. Quelle.
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