Paul Astle, Leiter Dekarbonisierung

2. Mai 2024

Ist es gut genug, "weniger schlecht" zu sein?

Regeneratives Design hat das Potenzial, das Zusammenspiel von gebauter Umwelt, Natur und Gesellschaft grundlegend neu zu gestalten. Es geht dabei nicht nur darum, Umweltschäden zu begrenzen, sondern aktiv zur Regeneration und Revitalisierung von Ökosystemen beizutragen. Doch der Wandel hin zu regenerativen Praktiken im Bausektor ist komplex. In diesem Beitrag beleuchten wir die zentralen Faktoren, die eine erfolgreiche Umsetzung möglich machen.

In Fælledby in Kopenhagen verwandelt Henning Larsen ein ehemaliges Schrottplatzgelände in ein Modell für nachhaltiges Wohnen. 80 % der Baumaterialien werden aus Holz hergestellt und 40 % des Geländes bleiben als unbebauter Lebensraum für die lokale Flora, Fauna und Tierwelt erhalten.

Seit dem Kyoto-Protokoll wächst der Druck, Treibhausgasemissionen systematisch zu erfassen, zu kontrollieren und nachhaltig zu senken. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis sich diese Zielsetzungen in verbindlichen Vorschriften widerspiegelten – heute sind sie weltweit in Regelwerken zur Energieeffizienz und zunehmend auch zum Thema „gebundender Kohlenstoff“ verankert.

Doch selbst ein niedrigerer Energieverbrauch und der Einsatz kohlenstoffarmer Materialien bleiben nicht ohne Auswirkungen. Sie sind, im besten Fall, lediglich weniger schädlich.

Ist "weniger schlecht" gut genug?

Regeneratives Design setzt auf integrierte Ansätze, die sowohl die Reduktion von Kohlenstoffemissionen als auch die Wiederherstellung von Ökosystemen in den Blick nehmen. Diese beiden Ziele stehen nicht im Widerspruch zueinander – im Gegenteil: Sie ergänzen sich als zentrale Bestandteile eines langfristigen Wandels hin zu einem gesünderen Planeten.

Dabei handelt es sich nicht um eine einfache Entscheidung zwischen „richtig“ und „falsch“. Vielmehr bewegen wir uns innerhalb eines Spektrums an Möglichkeiten. So können energieeffiziente Gebäude zwar den CO₂-Ausstoß reduzieren, leisten jedoch nicht zwangsläufig einen Beitrag zur ökologischen Regeneration – und setzen mitunter Materialien ein, deren Herstellung selbst kohlenstoffintensiv ist.

Wir dürfen den Wunsch nach der perfekten Lösung nicht zur Hürde für echten Fortschritt werden lassen. Es ist wichtig anzuerkennen, dass wir bei einem konkreten Projekt in manchen Bereichen vorankommen – in anderen vielleicht noch nicht. Entscheidend ist nicht die sofortige Vollkommenheit, sondern die Richtung, in die wir uns bewegen: unser langfristiger Wandel hin zu einer regenerativen Zukunft.

Paul Astle
Leiter Dekarbonisierung, Ramboll

Von der Degeneration zur Regeneration
Neue Politiken und ihre Wechselwirkungen

Der Wandel hin zu einem regenerativen Denken erfordert politische Maßnahmen und regulatorische Rahmenbedingungen, die über die heutigen Standards hinausgehen.

Während die Vorschriften zur Energieeffizienz von Neubauten in vielen Ländern bereits gut etabliert sind – meist durch klar definierte Mindestanforderungen –, entsteht aktuell eine neue regulatorische Landschaft rund um den gebundenen Kohlenstoff.

Dabei geht es um jene Emissionen, die mit der Rohstoffgewinnung, Herstellung, dem Transport und der Installation von Baumaterialien verbunden sind. Einige Länder gehen bereits einen Schritt weiter und schreiben die Bilanzierung von Kohlenstoff über den gesamten Lebenszyklus vor – einschließlich sowohl des verkörperten als auch des betriebsbedingten CO₂-Ausstoßes.

Bewertung des Kohlenstoffs und der Zielvorgaben in ausgewählten Ländern und Städten

Die Kreislauffähigkeit von Gebäuden rückt zunehmend in den Fokus gesetzlicher Regelwerke – etwa in der EU-Taxonomie, den CalGreen-Vorschriften des US-Bundesstaates Kalifornien oder städtischen Vorgaben wie in Amsterdam.

Auch die ökologischen Auswirkungen von Bauvorhaben erhalten wachsende Aufmerksamkeit. Anfang dieses Jahres trat im Vereinigten Königreich ein Gesetz zum sogenannten Biodiversitätsgewinn in Kraft. Es verpflichtet Bauträger dazu, die Auswirkungen ihrer Projekte auf die biologische Vielfalt vor Ort zu erfassen und zu verbessern. Zudem rücken nun auch außerhalb des Baugrundstücks liegende ökologische Effekte stärker in den Blick: Der UK Green Building Council veröffentlichte im vergangenen Jahr einen ersten Leitfaden zu den übergreifenden ökologischen Auswirkungen von Gebäuden.

Noch offen bleibt jedoch die Frage, wie all diese Aspekte sinnvoll miteinander verknüpft werden können – und wie die Branche zu einer ganzheitlich besten Entscheidung gelangen kann.

Die Notwendigkeit multikriterieller Entscheidungsinstrumente im regenerativen Design

Angesichts der Vielzahl an Einflussfaktoren, die im regenerativen Design eine Rolle spielen, stoßen konventionelle Entscheidungsmodelle oft an ihre Grenzen. Sie sind meist nicht darauf ausgelegt, das gesamte Spektrum ökologischer, sozialer und kultureller Überlegungen angemessen zu erfassen.

Zudem müssen Bewertungsmaßstäbe die ortsbezogene Abhängigkeit berücksichtigen – was an einem Ort sinnvoll oder wirksam ist, kann an einem anderen weniger relevant sein. Viele Kriterien sind dabei subjektiv oder kontextabhängig, anstatt eindeutig messbar oder universell gültig zu sein.

Es wird daher zunehmend wichtig, sich nicht nur zu fragen, was "gut" ist, sondern auch: Wie fühlt sich Gutes an? Wie sieht es aus?

Vergleich von Metriken

Multikriterielle Entscheidungsinstrumente, die eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen, sind essenziell für die erfolgreiche Umsetzung regenerativen Designs. Sie ermöglichen es Entscheidungsträgern, unterschiedliche Kriterien nach ihrer jeweiligen Bedeutung zu gewichten und so einen ganzheitlichen und ausgewogenen Bewertungsprozess zu gestalten.

Dekarbonisierung: Schlüssel zum regenerativen Denken

Wir stehen am Beginn eines tiefgreifenden Wandels hin zu einem regenerativen Denken. Dieser Übergang wird sicher komplex und herausfordernd sein – mit zahlreichen Messgrößen und Unwägbarkeiten. Doch wir dürfen uns nicht lähmen lassen, indem wir versuchen, alle Probleme auf einmal zu lösen.

Die Dekarbonisierung kann als zentraler Schlüssel für ein ganzheitliches, regeneratives Systemverständnis dienen. Auch wenn wir vielleicht zunächst „nur“ Fortschritte in Form von weniger schädlichen Lösungen erzielen, ist die konsequente Reduktion von Kohlenstoffemissionen eine unverzichtbare Voraussetzung für eine echte regenerative Zukunft. So gehen wir nicht nur den Weg der Schadensminderung, sondern begeben uns auf eine Reise hin zu echter Regeneration – bei der Gebäude zu aktiven Katalysatoren positiver Veränderungen werden.

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  • Paul Astle

    Decarbonisation Lead

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    Paul Astle