Crispin Matson

19. Januar 2023

Fernwärme wird cooler

Kraft-Wärme-Kopplung sorgt für geringere Kosten und CO₂-Emissionen. Die Mitgliedsstaaten der EU sind jetzt durch eine neue Richtlinie dazu verpflichtet, ihr Potenzial für Kraft-Wärme-Kopplung zu bewerten. In den USA sind die Möglichkeiten dafür enorm. Ein bahnbrechendes Projekt nutzt die Abwärme der Londoner U-Bahn zur Erzeugung von Fernwärme.

Seit fast 150 Jahren spüren die Londoner jetzt schon die warme Brise, die aus den Lüftungsschächten der U-Bahn strömt. Die überschüssige Wärme stammt von Motoren und Bremsvorgängen der U-Bahn und entweicht normalerweise einfach in die Atmosphäre.
Unter der Leitung von Ramboll startete jedoch im Winter 2017 ein neues Projekt. Die Abwärme eines Schachts der Northern Line in der City Road, Islington, wird aufgefangen und durch Wärmepumpen von 18 bis 28 Grad Celsius auf etwa 80 Grad erhöht.
Da nun diese bahnbrechende, klimaneutrale Wärmequelle genutzt wird, können weitere 500 Haushalte an das zentrale Londoner Fernwärmesystem angeschlossen werden. Aus den einst angebundenen 850 Haushalten wurden 1.350 Haushalte.
Das Islington-Projekt ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie Fernwärme als umweltfreundliche und kosteneffiziente Technologie einen weltweiten Siegeszug feiert.
“Der Markt für Fernwärme ist riesig“, erklärt Sven Werner, Professor für Energietechnik an der Universität Halmstad in Schweden, einer der weltweit führenden Experten für Fernwärme und -kühlung.
Die Studie “Heat Roadmap Europe" wurde von Forschern der Universität Halmstad, der Universität Aalborg und dem Beratungsunternehmen Ecofys durchgeführt. Sie zeigt, dass die EU-Länder jährlich mindestens 100 Milliarden Euro einsparen – und gleichzeitig ihren CO₂-Ausstoß drastisch senken, wenn sie Fernwärme und -kühlung zu einem zentralen Thema bei der Erreichung der EU-Klimaziele 2030 machen. Der damit verbundene positive Einfluss auf Wirtschaft und Umwelt ist klar. Deshalb fordert die neue EU-Energieeffizienzrichtlinie von allen EU-Mitgliedstaaten, bis Dezember 2015 eine umfassende Bewertung des nationalen Fernwärme- und -kälte-Potenzials durchzuführen.
“Viele europäische Städte haben bereits Pläne für den Einsatz von Fernwärmesystemen zur Bekämpfung des Klimawandels verabschiedet. Aber nur 12 % der Gebäude in Europa werden mit Fernwärme versorgt“, erzählt Sven Werner.
Ölkrisen sorgen für Innovationen
Fernwärme existiert bereits seit den mit heißem Wasser beheizten Bäder und Gewächshäuser im alten Rom. Die erste moderne Version kam aber erst Ende des 19. Jahrhunderts aus den USA nach Europa, als Frederiksberg, ein Stadtteil von Kopenhagen, einen Ort brauchte, um den Müll seiner 75.000 Einwohner zu entsorgen. Das Problem konnte gelöst werden. Frederiksberg errichtete 1902 das erste Fernheizwerk Europas, das aus den Abfällen nicht nur Wärme, sondern auch Strom erzeugte.
Die hier gewonnene Fernwärme blieb jedoch eher ungenutzt, bis sich 1973 und 1974 der Ölpreis vervierfachte. In Dänemark war die Energieproduktion, wie in so vielen westlichen Ländern, vom importierten Öl abhängig. Plötzlich mussten Menschen in ihren Häusern frieren, Fabriken wurden vorübergehend geschlossen und Sonntagsfahrverbote verhängt.
Nach der Krise setzte Dänemark daher alles daran, sich von Ölimporten zu verabschieden, um so die Energiesicherheit zu verbessern.
Im Jahr 2015 versorgten Fernwärmenetze bereits 64 % der dänischen Haushalte mit Wärme. Zudem produzieren diese Anlagen auch Strom, was sie viel effizienter als herkömmliche Kraftwerke macht.
Auch in anderen nordeuropäischen Länder ist das Wärmeerzeugungspotenzial genauso groß wie in Dänemark: Behörden im Großraum Londons hatten einen Bericht in Auftrag gegebenen, der aufdeckte, dass die in London verschwendete Wärme ausreichen würde, um 70 % des Wärmebedarfs der Stadt zu decken. Diese Wärme aufzufangen und in das Wärmenetz einzuspeisen, würde die Situation bezüglich Heizkosten, Brennstoffmangel, Brennstoffversorgungssicherheit und nicht zuletzt CO₂-Emissionen drastisch verbessern.
Crispin Matson, Country Manager bei Ramboll Energy UK, kann dem nur zustimmen. Er weist darauf hin, dass der Einsatz von Wärmepumpen beim Islington-Projekt zur Nutzung sekundärer Wärmequellen CO₂-effizienter ist als die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) mit Gas. Dennoch wird diese Wärmequelle in den britischen Fernwärmesystemen am häufigsten genutzt.
„Wir glauben, dass Wärmequellen an städtische Fernwärmesysteme angeschlossen werden müssen. Genau das trägt nämlich maßgeblich zur Dekarbonisierung der Heizenergie in Großbritannien bei“, berichtet Crispin Matson. Energy Services Manager Lucy Padfield vom Islington Borough Council lobt den innovativen Charakter dieses Projekts. „Durch das Projekt können minderwertige Wärmequellen mithilfe von großen Wärmepumpen im Fernwärmesystem genutzt und sowohl neue als auch bestehende Häuser und städtische Einrichtungen versorgt werden“, erklärt Lucy Padfield.
In den USA ist das Potenzial sogar noch größer.
Ein weiteres Land mit großem Fernwärmepotenzial ist Deutschland. Zudem erhalten dänische Unternehmen derzeit ihre ersten großen Aufträge in den USA.
In den USA wird trotz der hohen Betriebs- und Wartungskosten und des hohen Sicherheitsrisikos überwiegend mit Dampf geheizt. Bridgeport, 100 km nordöstlich von New York City, begab sich auf die Suche nach Alternativen und führt jetzt ein Niedertemperatur-Heiz- und Kühlsystem ein, das Abwärme aus verschiedenen Heizkraftwerken nutzt. Die Projektleitung übernimmt Ramboll. Es soll Bridgeport nicht nur kostengünstig mit Wärme versorgen, sondern es fallen auch 70 % der Treibhausgasemissionen der Stadt weg. Das entspricht 13.000 Tonnen CO₂ pro Jahr.
Die Ivy-League-Universität von Dartmouth ist ein weiterer amerikanischer Vorreiter in Sachen Fernwärme. Für diese Institution hat Ramboll eine Studie zu erneuerbaren Energien durchgeführt. Mit dieser wurden die Vorteile deutlich, die entstehen, wenn das bestehende Dampfsystem von einem modernen Heißwassersystem abgelöst wird.
Professor Sven Werner ist der Meinung, dass das nordamerikanische Potenzial für Fernwärme noch größer ist als das europäische.
“Die Ausschöpfung dieses großen Potenzials in Europa und den USA ist jedoch auch eine politische Frage“, meint er.
Verfasst von Michael Rothenborg.

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