Carlos Bernuy-Lopez und Pierre Michel Lehmann

16. November 2023

Die Zukunft ist grün: 100 Millionen Tonnen Wasserstoff für eine nachhaltige Energiewirtschaft

Fast der gesamte heute verwendete Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Dies führt zu jährlichen CO2-Emissionen, die in etwa denen Japans entsprechen. Was muss also passieren, damit die Welt schnellstmöglich den Umstieg auf grünen Wasserstoff schafft?

Green hydrogen facility

100 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff. 1.000 Gigawatt Elektrolysekapazität. Mindestens 1.000 Fabriken zur Herstellung von Elektrolyseuren.  

Carlos Bernuy-Lopez bringt mit diesen Zahlen seine Vision auf den Punkt. Der Ingenieur beschäftigt sich seit 2005 mit Elektrolyseuren und treibt seit einigen Jahren den Wandel in der Produktion von grünem Wasserstoff voran. Sein Ziel: Die weltweite Produktion von derzeit rund 0,3 Millionen Tonnen auf 100 Millionen Tonnen steigern – und das so schnell wie möglich.

„Wir verbrauchen heute etwa 90 Millionen Tonnen fossilen Wasserstoff pro Jahr. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass es im Jahr 2050 bis zu 500 Millionen Tonnen sein werden. Es wird viel darüber diskutiert, wer Wasserstoff in der Zukunft nutzen wird. Für mich sind die wahrscheinlichsten Abnehmer aber zumindest auf kurze Sicht die gleichen, die bereits heute Wasserstoff nutzen. Ich konzentriere mich daher auf den aktuellen Wasserstoffbedarf und stelle die Frage: Was muss sich ändern, damit wir ausreichend grünen Wasserstoff produzieren, um den derzeit aus fossilen Brennstoffen hergestellten grauen Wasserstoff zu ersetzen?“  

Aus Sicht von Carlos sind drei Voraussetzungen entscheidend, um dieses Ziel zu erreichen: der massive Ausbau der Produktionskapazitäten, ausreichend günstige erneuerbare Energien – und die Bereitschaft von Investoren, diese einmalige Chance zu nutzen.

Skalierung der Fabrikproduktion

Ohne Elektrolyseure kann es keinen grünen Wasserstoff geben.  

„Wir brauchen mindestens 1.000 Fabriken, die Elektrolyseure mit einer Kapazität von jeweils 1 GB herstellen. Derzeit liegt die jährliche Produktionskapazität von Elektrolyseuren weltweit bei nur 2 bis 5 GW“, erklärt Carlos.  

Davon, dass dieses Ziel auf den ersten Blick einem unüberwindbaren Hindernis gleicht, lässt er sich nicht entmutigen.  

Vor 10 Jahren gab es in Europa keine einzige große Batteriefabrik, und in 10 Jahren werden es wahrscheinlich 10 bis 15 sein. Wenn Wasserstoff also 10 Jahre hinter dem zurückhinkt, was Batterien heute sind, ist das vielleicht gar nicht so schlecht.  

Geht man von einer durchschnittlichen Investition für den Bau einer 1-GW-Fabrik in Höhe von rund 2,8 Milliarden Euro aus, würde sich die Skalierung der Elektrolyseurkapazität auf insgesamt 2.800 Milliarden Euro belaufen.“ 

Günstiger Ökostrom als Schlüssel zum Erfolg 

Im Vergleich zum Ausbau von erneuerbarem Strom, der für die Umwandlung von Elektronen in Wasserstoff benötigt wird, sind diese Zahlen jedoch verschwindend gering. Für die Produktion von 100 Millionen Tonnen grünem Wasserstoff werden 2.000 bis 3.000 GW erneuerbare Energie benötigt – eine astronomische Zahl, wenn man bedenkt, dass die weltweite Kapazität laut IRENA heute bei 3.372 GW liegt. 

„Günstiger Strom aus erneuerbaren Energien ist die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung von grünem Wasserstoff, da 70 bis 80 % der Kosten für die Wasserstoffproduktion auf Strom entfallen. Unternehmen, die aktuell auf grauen Wasserstoff setzen, dürften sich nur schwer vom Umstieg auf grünen Wasserstoff überzeugen lassen, wenn dieser preislich nicht wettbewerbsfähig ist. Ist er aber günstig genug, gibt es eigentlich keinen Grund mehr, der dagegenspricht.“

Carlos Bernuy-Lopez
Senior Consultant Energy Systems

Haben die Wasserstoffentwickler keine Kontrolle darüber, ob sich ihre Investition langfristig wirklich auszahlt, wenn sie so sehr von günstigem Strom abhängig sind?

„Ja und nein. Es gibt keinen Grund, warum Wasserstoffentwickler nicht auch gleichzeitig in die erneuerbaren Energien investieren können, die sie für den Betrieb ihrer Anlagen benötigen. Zum Beispiel Solar- oder Windenergie. Die Ansiedelung der Wasserstoffproduktion in der Nähe bestehender Abnehmer von grauem Wasserstoff, die mehr als der weltweite Durchschnitt zahlen, könnte eine weitere Möglichkeit sein, um schneller wettbewerbsfähig zu werden“, sagt Carlos. 

Nach Angaben der IEA liegen die mittleren Kosten für die Herstellung im Jahr 2021 bei 4–9 US-Dollar pro Kilo. Grüner Wasserstoff ist damit mindestens doppelt so teuer wie grauer. Allerdings geht die IEA auch davon aus, dass die Wasserstoffkosten in Regionen mit guten Sonnen- und Windverhältnissen bis 2030 auf bis zu 1,5 US-Dollar pro Kilo sinken könnten.  

Billionen-Dollar-Fragen 

Das letzte Puzzleteil ist womöglich das am schwierigsten vorherzusagende: die Bereitschaft der Investoren, große Mengen Geld in grünen Wasserstoff zu stecken.  

„Wir brauchen nicht nur die richtigen Vorschriften und Strategien, sondern müssen auch Investoren davon überzeugen, dass Wasserstoff eine große Chance darstellt“, erklärt Carlos.  

„Manchmal höre ich von Investoren, dass sie vor den Risiken von Investitionen in Wasserstoff zurückschrecken. Da frage ich mich dann: Haben die noch nie in risikoreiche Anlagen investiert?“ 

„Vielleicht sollten wir also besser von Investoren lernen, die in der Vergangenheit erfolgreich auf neue Technologien gesetzt haben. Und vielleicht braucht es auch Modelle, bei denen die Risiken gleichmäßiger auf die Marktteilnehmer verteilt sind“, sagt er.  

Bisher hat noch niemand beziffert, was die Ausweitung der weltweiten Wasserstoffproduktion auf 100 Millionen Tonnen kosten würde. Carlos geht von einer Summe in Billionenhöhe aus.  

„Wenn es Billionen an Investitionen braucht, um Wasserstoff in großem Maßstab zu produzieren, müssen wir uns grundsätzlich die Frage stellen, woher dieses Geld kommen könnte und wie Anreize für Investitionen geschaffen werden können.“ 

Angenommen, grüner Wasserstoff wird bis zu einem gewissen Grad auch mit anderen erneuerbaren Technologien um Investitionen konkurrieren. Bekommen wir dann bei einer Investition in grünen Wasserstoff aus Klimasicht am meisten für unser Geld?

„Vielleicht nicht in allen Fällen. Aber deshalb ist es wichtig, sich auf Wasserstoffprojekte mit hoher Rentabilität zu konzentrieren. Das kann zum Beispiel in der Nähe eines Abnehmers mit hoher Nachfrage der Fall sein oder in Regionen, wo die Erdgaspreise höher sind, was den Preisunterschied zu Wasserstoff verringert. 

„Es mag also anfangs schwierig sein, preislich mit Erdgas zu konkurrieren, aber dafür wäre eine höhere Versorgungssicherheit gegeben. Ein fester Preis über einen Zeithorizont von 20 Jahren wird für einige attraktiv sein, die dann nicht mehr dem Risiko schwankender Erdgaspreise ausgesetzt sind.“ 

Ein halbvolles Glas 

„Wie bei jeder anderen Technologie gibt es auch hier Herausforderungen zu bewältigen. Aber wir sehen auch, dass sich die Technologien verbessern und die Kosten allein durch die Weiterentwicklung sinken“, sagt Carlos.  

Er zeigt sich optimistisch, da es aus seiner Sicht keine großen technologischen Durchbrüche mehr braucht. 

„Letztendlich halte ich es für wichtig, ehrgeizige Ziele zu setzen, die aber gleichzeitig realistisch sind und auch erreicht werden können. 100 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff sind definitiv machbar.“  

Häufig gestellte Fragen:  

Welche Elektrolyseurtechnologien werden sich durchsetzen?  

Alkalische Elektrolyseure haben heute einen Marktanteil von 70 %. Werden andere Technologien die Führung übernehmen? 

„Ich denke, dass alkalische Elektrolyseure weiterhin die wichtigste Rolle spielen werden. Die Marktanteile dürften sich aber allmählich angleichen, wobei ich damit rechne, dass etwa die Hälfte auf alkalische Elektrolyseure und jeweils 25 % auf PEM und SOEC entfallen werden. Welche Elektrolyseurtechnologie zum Einsatz kommt, wird von Projekt zu Projekt unterschiedlich sein. Je nach Anwendungsfall und anderen Faktoren wie den Materialkosten“, erklärt Carlos. 

Wird der US-Wasserstoffsektor aufholen? 

Das 2022 verabschiedete US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung beinhaltet wirtschaftliche Anreize für die Produktion von grünem Wasserstoff. Wie wird sich das auf den Wasserstoffsektor in den USA auswirken? 

„Das Gesetz wird definitiv für mehr Wachstum und Investitionen sorgen, aber trotzdem werden die Kapazitäten nicht über Nacht in die Höhe schießen. Die dortige Elektrolyseurindustrie ist im Vergleich zu der in der EU oder in China noch recht klein, und es braucht Zeit, diese industriellen Grundlagen aufzubauen“, sagt Carlos.  

Auf welche Trends sollte man achten? 

„In den Jahren 2025 und 2026 werden einige Großprojekte wie Neom in Saudi-Arabien und H2 Green Steel in Schweden in Betrieb gehen. Wenn es dabei gelingt, Wasserstoff in großen Mengen zu produzieren, könnte das für andere Projekte ein Anreiz für eine endgültige Investitionsentscheidung sein.“  

„Damit grüner Wasserstoff in großem Stil nutzbar gemacht werden kann, muss Strom aus erneuerbaren Energiequellen günstig und jederzeit verfügbar sein. Derzeit sind bis zu 80 % der Kosten für die Wasserstofferzeugung auf Stromkosten zurückzuführen. Nur wenn der Umstieg auf grünen Wasserstoff sich auch wirtschaftlich rechnet, ist das ein Anreiz für die Industrie, ihre Produktion zu dekarbonisieren.‟

Pierre Michel Lehmann
Leiter des Geschäftsbereichs Energy Transition bei Ramboll Deutschland

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  • Carlos Bernuy-Lopez

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